Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Montag, 15. April 2013

Gute Nacht, Punpun (Band 1, Inio Asano)




Japan 2007 (wird fortgesetzt)

Originaltitel: Oyasumi Punpun
Veröffentlichung: März 2013
Verlag: Tokyopop
Zeichner: Inio Asano
Übersetzung: Sakura Ilgert
Genre: Coming of Age, Slice of Life
Kategorie: Seinen
Altersempfehlung des Verlags: Ab 15
Preis: 6,95 Euro



Wenn man derzeit einen angesagten Mangaka aus der Kategorie Seinen nennen müsste, dann dürfte der Name Inio Asano recht oft fallen. Nicht nur in seinem Heimatland Japan wird der Mangaka gefeiert, seine Werke sind auch international anerkannt und werden mit Lob überhäuft. Schon jetzt wird Asano-San mit ganz großen Namen wie Naoki Urasawa (Monster, 20th Century Boys) verglichen. Asano wurde größtenteils durch seine Sammlungen an Manga-Kurzgeschichten bekannt. Nach kleineren Werken wie Subarashii Sekai, Solanin (verfilmt 2010 von Takahiro Miki) und Nijigahara Holograph veröffentlichte er 2007 mit Oyasumi Punpun seine erste fortlaufende Serie. Und das auch noch ziemlich erfolgreich.

Grund genug für mich, mir sein Werk mal genauer anzusehen. Zu oft wurde ich in den vergangenen Jahren enttäuscht nachdem ein Manga mal wieder an Aufmerksamkeit gewann, sich am Ende aber nicht gegen die Stimmen des mächtigen Internets behaupten konnte. Allgemein traut sich kein Mangaka mehr etwas experimentelles. Der Trend in Japan liegt auch weiterhin auf die wohl bekannteste Manga-Gattung Shounen. Da spricht nichts gegen, wenn die Seinen-Gattung dabei nicht vernachlässigt wird. Aber ich kann zumindest etwas beruhigt sein, Inio Asano weiß sehr gut wie man in dieser anspruchsvollen Kategorie punktet. Gute Nacht, Punpun, ist nichts geringeres als der wohl genialste Auftakt zu einer Manga-Serie, den ich in den vergangenen zwei Jahren lesen durfte. Warum mich der erste Band regelrecht umgehauen hat, will ich euch nach einer kleinen Einführung verraten.

Bei Gute Nacht, Punpun handelt es sich, grob gesagt, um eine sehr klassische Coming of Age Geschichte, die ihren Anfang mitsamt den Protagonisten in der Grundschule nimmt. Allerdings wäre es für einen Manga, oder sagen wir, für einen Japaner, recht langweilig, etwas zu bringen, was vor ihm schon unzählige andere Autoren oder Regisseure getan haben. So ist das besondere an dieser Geschichte sein stummer Hauptcharakter. Und, bevor ich es vergesse zu erwähnen, er ist ein Vogel. Genau wie seine depressive Mutter, sein trinkender und randalierender Vater und sein Onkel Vögel sind (die allerdings wie die menschlichen Charaktere sprechen können). Obwohl der kleine Held kaum von einem Strichmännchen zu unterscheiden ist, dürfte man ihn bereits nach wenigen Seiten lieb gewonnen haben. Man könnte meinen, Asano habe Punpun nur als Platzhalter benutzt, um eine Verbindung zwischen Leser und Geschichte herzustellen. Dem ist aber nicht so. Punpun hat die gleichen Gefühle und Sorgen, die Grundschüler nun einmal so haben. Und so kommt es, dass der schüchterne Punpun sich in die neue Mitschülerin Aiko verliebt. Und wie es Gott so will (der in der Geschichte ebenfalls nicht fehlen darf), verliebt sich auch Aiko in Punpun. Diese will aber hoch hinaus und möchte ihrem derzeitigem Leben so schnell wie möglich den Rücken kehren. Punpun muss sich also einiges einfallen lassen, um seine angebetete einmal glücklich machen zu können. Ach, und dann geht es ja auch noch um Pornos und einen Mordfall! Prost.

Bereits im ersten Band passiert so viel, dass es schwer ist, alles zusammenzufassen. Wir nehmen am Alltag von Punpun teil. Dieser hat, im Vergleich zu seiner Erscheinung, ziemlich reale Probleme. Seine Mutter ist streng und konservativ, sein Vater, zu dem er ein recht gutes Verhältnis hat, ein Taugenichts der trinkt und seine Ehefrau vermöbelt. Dies geht so weit, dass Punpun-Papa eines Tages festgenommen wird. Da Papa die Mama Krankenhausreif geprügelt hat, kümmert sich solange sein Onkel um ihn. Längst im Alter eines Erwachsenen, wohnt er immer noch bei seiner Mutter und hat noch immer nicht den Lebensweg gefunden, der für ihn bestimmt ist. Ihn plagen Selbstzweifel und er ist unsicher, dennoch kommen Punpun und sein Onkel Yuichi gut miteinander aus.

Es sind eindeutig die total abgedrehten Charaktere, die diese Geschichte so unglaublich einzigartig machen. Da wären ein anscheinend schizophrener Grundschullehrer, der seine Emotionen nicht unter Kontrolle hat. Dann wären da der Schuldirektor und sein Konrektor, die Spaß daran haben, Verstecken zu spielen, anstatt sich um den Schulbetrieb zu kümmern. Und dann ist da auch noch Gott, an den Punpun sich immer wendet, wenn er Fragen hat. Die Erscheinung von Gott kommt einem Studie-Nerd mit Afro-Frisur gleich und ist Punpun ungefähr so hilfreich wie ein Feuerlöscher ohne Inhalt. Zeichner Asano vergisst dabei aber niemals, den Ernst der Geschichte zu vernachlässigen. Alle Charaktere haben ziemliche Probleme. Sie alle haben Träume und sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. All das sind die Zutaten für eine wunderschöne Coming of Age Geschichte, die in einem Land spielt, welches für uns alle unerreichbar zu sein scheint.

Die Zeichnungen gehören zu den schönsten, die ich jemals in einem Manga bestaunen durfte (wobei die Liste nicht unbedingt klein wäre, würde ich anfangen, aufzuzählen). Der Zeichenstil ist sehr erwachsen und typisch für einen Seinen-Manga. Die aufwendigen Hintergründe (teilweise am Computer entstanden) sind gespickt mit liebevollen Details. Jeder Charakter sieht einzigartig aus. Ein Zeichenstil, der ganz weit oben in der Königsklasse der japanischen Zeichenkunst mitspielt. Asano geizt aber auch nicht mit nackten Tatsachen. Teilweise geht es sogar richtig zur Sache. Ich bezweifle ein wenig, dass Gute Nacht, Punpun das richtige Programm für die vorgesehene Zielgruppe von Tokyopop ist. Allerdings will ich hier nun auch nicht den Moralapostel spielen. Was Asano und seine Assistenten hier präsentieren ist, ohne Frage, beeindruckend.

Ein großes Lob geht schließlich an die Hamburger-Crew von Tokyopop. Band 1 umfasst über 200 Seiten und ist ausgestattet mit einer Klappenbroschur, die den Manga durchaus recht edel aussehen lässt. Bei 6,95 Euro ist das eine herausragende Leistung. Ich kann dem Verlag (auch ganz egoistisch gesehen) nur allen erdenklichen Erfolg mit Punpun wünschen. Diese Serie verdient es, fortgeführt zu werden. Band 2 wird im Juni erscheinen.


Resümee

Ich könnte noch viel mehr schreiben, und dabei handelt es sich hier gerade mal um Band 1. Meine Begeisterung über dieses mehr als abgedrehte Werk ist kriminell hoch. Ich habe bereits etliche Manga seit der Jahrtausendwende gelesen, und nur die wenigsten sind mir in Erinnerung geblieben. Es gibt nur noch wenig Serien, die ich als wirklich lesenswert betrachte. Mit Gute Nacht, Punpun ist nun ein echtes Original erschienen. Es ist fast, als würde diese Geschichte aus einer anderen Zeit stammen. Aus einer Zeit, als Mangaka noch kreativ und bereit waren, zu experimentieren. Inio Asano hat so viel Liebe in sein Werk gepackt, dass man seine Leidenschaft auf jeder Seite zu sehen bekommt.
Eine Serie, die ich mit Freude fortführen werde. Leider lässt Band 2 noch etwas auf sich warten, was den einzigen Kritikpunkt derzeit darstellt.

Irgendwie komme ich mir nun vor, als hätte ich all die Jahre etwas wichtiges verpasst. Gute Nacht, Punpun lieferte mir vermutlich Antworten auf Fragen, die ich nie gestellt habe. In dieser geheimnisvollen Welt, in der Vögel sprechen können und Schuldirektoren miteinander verstecken spielen, da möchte ich noch gerne etwas länger verweilen. Gute Nacht, Punpun erhält für jeden anspruchsvollen Manga-Leser eine uneingeschränkte Empfehlung von mir. Bitte mehr davon! Zu lange wurden viele aktuelle Serien von Bedeutungslosigkeit dominiert.



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