Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Sonntag, 13. November 2016

Rezension: Das Buch vom Meer (Morten A. Strøksnes)







Norwegen 2015
Das Buch vom Meer
Alternativ: Das Buch vom Meer oder wie zwei Freunde in einem Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen
Originaltitel: Havboka – eller Kunsten å fange en kjempehai fra en gummibåt på et stort hav gjennom fire årstider
Autor: Morten A. Strøksnes
Veröffentlichung: 29.08.2016 bei DVA
Übersetzung: Ina Kronenberger, Sylvia Kall
Genre: -



"Seeleute an Land wirken häufig wie rastlose Gäste. Selbst wenn sie nie wieder zur See fahren werden, erwecken sie in Gesprächen und in ihrem Verhalten den Anschein, als wären sie nur kurz zu Besuch. Die Sehnsucht nach dem Meer werden sie nie ganz los. Das Meer, das nach ihnen ruft, muss sich jedoch mit ausweichenden Antworten begnügen.
Einen solchen geheimnisvollen Drang muss auch mein Ururgroßvater verspürt haben, als er das schwedische Binnenland verließ und durch Täler und über Berge nach Westen wanderte. Wie ein Lachs folgte er den großen Flüssen, zuerst gegen den Strom, dann mit ihm, bis er das Meer erreichte. Als Grund für die Wanderung soll er angegeben haben, er müsse unbedingt das Meer mit eigenen Augen sehen. Er hatte aber ganz sicher nicht die Absicht, jemals wieder dorthin zurückzukehren, von wo er gekommen war. Vielleicht ertrug er den Gedanken nicht, für den Rest seines Lebens mit gebeugtem Haupt über die kargen Äcker einer schwedischen Berglandschaft zu laufen. Er muss ein Mensch gewesen sein, der sich von Stimmungen leiten ließ, ein Träumer mit kräftigen Beinen, denn er schaffte es bis zur norwegischen Küste. Hier gründete er eine Familie und heuerte später auf einem Frachtschiff an. Irgendwo im Pazifik ging sein Schiff dann unter, und alle an Bord ertranken, ganz so, als wäre der Mensch vom Meeresgrund gekommen und müsste auch wieder dahin zurück. Als gehörte er eigentlich dorthin und hätte es die ganze Zeit über gewusst. So stelle ich es mir jedenfalls vor."
("Das Buch vom Meer", Morten A. Strøksnes. Übersetzung Ina Kronenberger und Sylvia Kall für DVA)



Der Blog vom Meer bekommt nun Unterstützung durch "Das Buch vom Meer". Morten A. Strøksnes Geschichte über 2 Freunde, die das Meer lieben und einen Eishai (besser bekannt als Grönlandhai) fangen wollen, hat sich zu einem kleinen Geheimtipp avanciert. Strøksnes ist in seiner Heimat natürlich kein unbekanntes Lichtchen. Als Journalist und Autor sind seine Aktivitäten relativ umfangreich. In Norwegen schätzt man Strøksnes Schreibkunst besonders im Segment der Sachbücher. Bei seinem neunten Buch, nämlich dem hier besprochenem "Buch vom Meer", hat der Autor sich dazu entschieden, das Sachbuch mit der Belletristik zu verbinden. Auf dem Papier ist der Roman Fiktion, verziert ist dieser aber mit Passagen, die genau so gut in eines seiner Sachbücher passen könnte. Zwischen Fiktion, etwas Naturwissenschaften und Wortwitz ist dem Norweger ein interessanter wie kurzweiliger Genremix gelungen. Leser, die ein gewaltiges Abenteuer im Stile von Moby Dick erwarten, könnten jedoch enttäuscht werden.

"Das Buch vom Meer" benötigt nicht lange, um direkt zum Punkt zu kommen. Strøksnes hält sich nicht lange mit Vorbereitungen auf und führt besonders die Charaktere zügig ein. Da hätten wir einmal den Ich-Erzähler, der den Leser durch die Geschichte geleitet (und ihm einen Platz auf dem Boot reserviert), gleichzeitig aber auch als Naturwissenschaftler agiert und die ganze Geschichte wie eine Dokumentation, aber auch einen Reisebericht beschreibt. Als zweiten Protagonist haben wir den langjährigen Kumpel des Erzählers, Hugo Aasjord. Der Erzähler nimmt sich keine Zeit uns Hugo bei der Begrüßung näher vorzustellen. Stattdessen webt er Hugos Hintergrundgeschichte (inklusive seiner Beschreibung) intelligent in separate Erzählungen beinahe beiläufig ein. Hugo ist ein etwas kauziger Zeitgenosse der am Meer aufgewachsen ist und regelrecht vernarrt und verliebt in seine Boote ist (und so ziemlich alles, was mit der See zu tun hat). Die Geschichte dieser beiden Herren beginnt an einem milden Sommertag. Die Vorbereitungen sind so gut wie getroffen, das teure Schlauchboot ist aufgepumpt und beide Männer wollen ihren Traum erfüllen, den sie lange im voraus geplant haben: Sie wollen einen Eishai fangen. Was beinahe schon simpel klingt, entpuppt sich für die beiden als eine langwierige Odyssee.

Wie ich schon beschrieben habe ist "Das Buch vom Meer" kein furioser Abenteuerroman. Stattdessen fährt Morten A. Strøksnes hier etwas ruhigere Gewässer an. Was aber nicht heißt, der Roman ist langweilig oder schwer zu lesen. Man muss ein wenig eigenen Enthusiasmus mitbringen, wenn man das Buch liest, sich besonders für die vielen dokumentarischen Anmerkungen des Erzählers interessieren, sich darin hineinversetzen können. Im laufe der Geschichte gibt es sicherlich immer mal wieder weniger interessante oder gar langwierige Abschnitte, die werden aber häufig durch wunderbar eingesetzten trockenen Humor kompensiert. Eines der Grundthemen des Buches ist die Sehnsucht und die Faszination des Meeres. Genau diese Mischung macht "Das Buch vom Meer" zu einem würdigen Vertreter, auf meinem Blog präsentiert und besprochen zu werden. Denn genau das ist die außergewöhnliche, exotische Literatur, nach der ich suche. So gesehen teile ich hier eine Leidenschaft mit den Protagonisten, auch wenn es wohl nun leicht an der Absurdität grenzen würde, wenn ich ein Buch mit einem Eishai vergleichen würde..... oder etwa.....


Resümee

"Der Weg ist das Ziel". Ein moosbewachsener Spruch, der zu diesem Roman aber großartig passt. Bei all den wundervollen Beschreibungen rund um die Natur und der See, da gerät das eigentliche Ziel dieser zwei relativ ungleichen Freunde schon einmal aus den Augen. Und dies gilt nicht als Kritik gemeint, die Beschreibungen, ganz besonders die Erklärungen, machen den Reiz dieser Geschichte aus.

Auf den letzten Seiten des Buches findet sich noch ein ausführliches Register, bei dem man Begriffe und Ereignisse nachschlagen kann. Auf dem Meer mag man sich als Laie verloren und hilflos vorkommen, in diesem ruhigen Abenteuer aus Norwegen haben wir mit Morten A. Strøksnes jedoch einen ausgezeichneten Reiseführer. "Das Buch vom Meer" ist Lesestoff für die kalte Jahreszeit. Und wenn einem das norwegische Klima doch einmal etwas zu nasskalt ist, hilft bestimmt ein warmer Glühwein aus.


(Steigen, Engeløya: Mehr Infos auf Norwegen Service)

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